Dieses kurze Interview wurde von der Redaktion der Zeitschrift Info_Dienst für Ge- sundheitsförderung im August 2011 geführt. Hier geht es vor allem um Fragen der Resilienz bei Kindern und Jugendlichen in benachteiligten Lebensverhältnissen.
Info_Dienst: Welche Fähigkeiten und Kompetenzen zeichnen sogenannte resiliente Kinder gegenüber anderen Kindern aus, die ebenfalls unter schwierigen Lebensbedingungen aufwachsen?
MZ: Eine entscheidende Frage! Zunächst gilt: Resilienzfähigkeit zeigt sich darin, dass diese Kinder solche Bedingungen „besser bewältigen als gemeinhin zu erwarten wäre“. Wo wir uns daran gewöhnt haben, defizitäre Entwicklungen zu erwarten, überrascht hier die Widerstandskraft gegenüber Belastungen.
Lassen wir außen vor, dass diese Feststellung auf nicht weiter ausgeführten normativen Annahmen von „gedeihlicher kindlicher Entwicklung“ basiert. Halten wir fest: Resilienz kann letztlich nur vom Ergebnis her beurteilt werden – daher beruhen klassische Resili- enzstudien in der Regel auf Langzeitbeobachtungen von Kindern bis ins Erwachsenen- leben hinein.
Als kindbezogene „Schutzfaktoren“ listen solche Studien häufig persönliche Eigen- schaften und Fähigkeiten auf, die eine „resiliente Bewältigung“ risikobehafteter Lebens- umstände ermöglichen oder begünstigen. Dies können angeborene Eigenschaften sein wie ein freundlicher, offener, auf andere zugehender und auf Herausforderungen flexibel rea- gierender Charakter oder körperliche Merkmale wie gutes Aussehen und gute Gesundheit. Dazu gehören aber auch erworbene Fähigkeiten wie positives Selbstkonzept, stabile Bindungsfähigkeit, soziale Kompetenz, aktives Bewältigungsverhalten oder zuversicht- liche Lebenseinstellung, um einige zu nennen. Wichtig ist, dass sich solche Fähigkeiten durch psychologische und (sozial-) päda-gogische Intervention fördern lassen.
Info_Dienst: Das Resilienzkonzept stellt die Ressourcen des betroffenen Kindes in den Vor-dergrund. Welche Rolle spielen die Familie, das soziale Umfeld und Institutionen wie z.B. Schule und Kita?
MZ: Beispiel: Ein 7-jähriges Roma-Mädchen lebt mit seiner mittellosen, durch Flucht traumatisierten Familie in einer Sammelunterkunft. Die junge Mutter bricht unter diesen Verhältnissen bei der Sorge für ihre sieben Kinder (!) psychisch zusammen, der Vater – selbst traumatisiert und ohne berufliche Perspektive - vermag auch nicht die Verant- wortung für die Kinder zu übernehmen.
Wir sehen eine Situation, bei der die Entwicklung des Mädchens stark bedroht ist. Keine Frage, dass ein offener und aufgeschlossener Charakter eine persönliche Ressource sein kann, ein „personaler Schutzfaktor“ für das Kind. Das allein wird aber hier nicht aus- reichen. Da die engere Familie – jedenfalls die Eltern – in diesem Fall als „schützender Faktor“ weitgehend ausfällt, wird das Kind auf externe Unterstützung und Förderung angewiesen sein, um die Risiken „resilient“ bewältigen zu können, ohne dabei physischen oder psychischen Schaden zu nehmen. Diese Rolle könnten beispielsweise Großeltern, Onkel und Tanten oder irgendeine Bezugsperson des Mädchens übernehmen. Auch Institutionen wie Schule, Kita oder eine sozialpädagogische Familienhelferin wären hier gefordert, könnten hilfreich sein.
Folgerichtig wird im Resilienz-Konzept die positive Rolle „externer Schutzfaktoren“ mit Nachdruck betont. Resilienzförderung sollte immer drei Ebenen im Blick haben: das Kind selbst, seine Familie und sein weiteres soziales Umfeld. Ich begrüße daher sehr, dass seit einiger Zeit im Kita-Bereich und neuerdings auch in Schulen diskutiert wird, wie diese Institutionen bei der Förderung kindlicher Resilienzfähigkeit aktiv werden könnten.
Info_Dienst: Was ist das Besondere und Neuartige an der Resilienzperspektive?
MZ: Vielleicht nicht ganz neu - diese Sichtweise stärkt die Hoffnung, dass Kinder selbst unter schwierigsten Bedingungen zu glücklichen, selbstbewussten und sozial kompe-tenten Menschen heranreifen können, ja womöglich gefestigt und gestärkt daraus hervorgehen.
Im Gespräch mit Fachkräften, die beruflich mit solchen Kindern zu tun haben, höre ich immer wieder, dass die Orientierung am Resilienzkonzept für sie eine unglaubliche Entlastung bedeute. Die Arbeit damit sei auch deswegen ermutigend, weil es die Augen für Stärken und Potenziale der Kinder öffne, die man fördern könne.
Info_Dienst: Laut einer aktuellen UNICEF-Studie wächst etwa jedes sechste Kind in Deutschland in relativer Armut auf. Wie können diese Kinder und Jugendlichen durch Resi-lienzförderung gestärkt werden?
MZ: Aufwachsen in Armut sieht die Forschung als zentrales Entwicklungsrisiko an. Sie weist nach, dass Armut in ihren vielen Formen „kindliches Wohlbefinden“ – wichtige Messlatte im Armutsverständnis von UNICEF (Child-Well-Being) – oft gravierend beeinträchtigt. Kurz: Resilienzförderung setzt genau dort an, wo sich bei Kindern armutsbedingte Beeinträchtigungen zeigen: Stärkung von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit, Förderung von sozialen Kontakten und Freundschaften, sozialen Kompetenzen und Problemlösefähigkeit, von individuellen Fähigkeiten und Neigungen und so auch schulischer Leistungsfähigkeit.
Man könnte fast sagen, Resilienzförderung ist das maßgeschneiderte Konzept, um Kinder in Armut bei der Bewältigung ihrer Lage wirksam zu unterstützen.